Holly Golightly

#109
Tonga

Dem Gipfel so nah & Bob der Baumeister ist verschwunden.

  • Reisegeschichten

Unter Bergsteigern herrscht die alte Weisheit, dass es ein größerer Erfolg ist, kurz vor dem Gipfel umzudrehen, wenn es zu schwierig wird, als ihn unter großen Opfern zu besteigen. Wenn dem so ist, hat die Holly Golightly-Crew 2024 tatsächlich schweren Herzens solch einen Erfolg der besonderen Art errungen. Unser Gipfel der Sehnsucht heißt Neuseeland und ist „nur“ noch 1200 sm entfernt – ihn zu erklimmen wäre schon eine tolle Sache. Wären da nicht die schon erwähnten riesigen Tiefdruckgebiete, die in schöner Regelmäßigkeit von Australiens Süden in Richtung Neuseeland ziehen. Um diese einschätzen zu können, haben wir extra einen lokalen Wetterrouter beauftragt, uns mitzuteilen, wann die Besteigung des Gipfels möglich ist. Der weitere limitierende Faktor ist nur 2 x 3 Meter groß und wartet in Braunschweig in einer staubigen Halle sehnsüchtig auf sein jährliches Comeback. Diese 6 qm, auch „Schokobrunnen“ genannt, müssen Ende November an die Weihnachtsmarktfront geschoben werden, um unsere trocken gefallene Bordkasse wieder ein wenig zu füllen.

Alles in allem benötigen wir jetzt also flott, flott das richtige Wetterfenster soll es mit NZ noch klappen! Erfahrene Segler und Skipperinnen ahnen es schon – das kann nur schief gehen. Wir rechnen also hin und her und her und hin, was aber die aktuellen Wettersysteme zwischen Australien und Neuseeland wenig beeindruckt. Wie wir auch kalkulieren und hoffen und beten – der Wettergott entpuppt sich als Ignorant und uns läuft die Zeit davon! Da unser Ausbruchsversuch in Richtung Süden (s. letzter Blog-Eintrag) auch nicht von Erfolg gekrönt war, muss jetzt auf jeden Fall eine Alternative gefunden werden!

Zwei bieten sich an: Tonga und Fidschi. Da Tonga sehr weit abseits aller Spareparts und Hauptflugrouten liegt und auf der Rangliste der von Naturkatastrophen bedrohten Nationen weltweit auf Rang drei steht, entscheiden wir uns letztendlich für Fidschi. Und wir haben Glück im Unglück. Durch Mareikes frühes und hartnäckiges Nachfragen in der Vuda-Marina auf Fidschi ergattern wir dort tatsächlich den letzten sogenannten „Cyclone-Pit“ – also einen hurrikansicheren Stellplatz für Holly Golightly!!! Damit ist die künftige Route endgültig beschlossen und wir finden uns schweren Herzens damit ab, dass Neuseeland nicht mehr Teil der Reise sein wird. Preislich stellt Fidschi allerdings einen Gipfel dar, den wir nur mit Sauerstoffmaske bezwingen werden können, da er bei uns schon jetzt Schnappatmung verursacht. 2024 entpuppt sich so zum bisher kostspieligsten Segeljahr überhaupt. Die Gebühren für den Panamakanal, die Preise in Französisch Polynesien, der Cyclone-Pit auf Fidschi und die langen Flüge zurück nach Hause haben unser Reisebudget doch sehr strapaziert.

The Beach at Port Maurelle

Als kleinen Seelentröster gönnen wir uns auf Tonga noch den Umzug in eine andere schöne Bucht, bevor wir dann endgültig die Segel Richtung Fidschi setzten. Die Bucht „Port Maurelle“ entpuppt sich als Volltreffer: Nette Segel-Nachbarn, eine spektakuläre Höhle und eine skurrile chinesische Baustelle, die Rätsel aufgibt, sorgen dort für viele spannende Momente.

Die Crew der „Exit only“, die neben uns in der Bucht liegt, besteht tatsächlich aus drei Generationen, die auf einem gar nicht so großen Katamaran jetzt schon seit Jahren die Weltmeere bereisen – richtige Seenomaden also. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch und sie erzählen uns begeistert von ihren Reisen und vom Törn durchs Rote Meer, der für uns noch Zukunftsmusik und einer der großen Unbekannten in unserer Rechnung für die kommenden Jahre ist. Sie haben sogar eine DVD von dieser Reise, die sie uns netter Weise schenken.

In guter Nachbarschaft

1,5 sm entfernt befindet sich eine der schönsten Höhlen Tongas, die man aber nur vom Wasser aus erreichen kann. Wir tanken also Freds Mercury und den Reservekanister randvoll und machen uns auf den für Fred längeren Weg. Die beste „Höhlen-Zeit“ ist am Nachmittag, wenn die schon tiefer stehende Sonne direkt in die Höhle scheint. Nach ca. 30 Minuten sind wir am Ziel und sind begeistert. Eine große, durch das Sonnenlicht erleuchtete Grotte erwartet uns. Wir tuckern ein wenig vor dem Eingang hin und her und trauen uns dann auch mit Fred hinein in die Höhle. Innen ist es ein wenig spooky, aber auch atemberaubend. Wir haben ein bisschen Angst vor Wand oder Bodenkontakt – uns kommt das Innere schon sehr eng vor. Der Boden der Höhle strahlt in einem wunderbaren Türkis, da die jetzt tiefer stehende Sonne direkt in die Höhle hinein scheint. Eigentlich müsste man hier schnorcheln, aber alleine trauen wir uns nicht. Was uns auch etwas nervös macht, ist die Tatsache, dass Erdbeben in Tonga quasi alltäglich sind. Ein Erbeben in einer Höhle? Nein Danke, diesen außergewöhnlichen Adrenalinkick brauchen wir wahrlich nicht! So sind wir etwas erleichtert, als Fred und Besatzung wieder unter freiem Himmel schaukeln.

Höhlenforscher

Nun sind wir auch nicht mehr alleine; ein Ausflugsboot kommt um die Ecke und flutscht, obwohl deutlich größer als Fred, einem Zäpfchen gleich in die Grotte hinein. Innen dreht es sich gekonnt im Kreis und die Insassen fotografieren emsig die Innereien bevor die Höhle sie wieder ausspuckt.

Platz ist in der kleinsten Hütte
"Ich bin drin"

Auf dem Rückweg müssen wir ganz knapp vor Holly tatsächlich noch mal nachtanken – etwas mehr als drei Seemeilen sind also die maximale Reichweite vom Team Fred Mercury :-)

Am kommenden Tag steht Dorfbesichtigung auf dem Programm. Wir suchen uns mit Fred einen Weg zum Strand, was nicht so einfach ist, da der schöne weiße Sandstrand hinter einem breiten und flachen Riff liegt. Wir rutschen gekonnt über das Riff und bestaunen die vielen schönen blauen Seesterne, die direkt unter uns leuchten. Am Strand wird Fred wie immer weit hochgezogen und angebunden – ein bisschen Tiede gibt es nämlich auch hier. Hinter den Palmen finden wir den Weg, der in das nah gelegene kleine Dorf Falevai führt.

Bitte warten!
Wenig Verkehr auf der Hauptstraße
Der bestimmt jüngste Bewohner des Dorfes kommt uns begrüßen
Grad wurde hier noch gespielt, …
… hier schon länger nicht mehr

Die „Straße“ mutet ein wenig seltsam an, sieht sie doch so aus, als hätte sich ein riesiger Bulldozer einfach geradeaus durch den Wald gefräst. Auf der nächsten Lichtung finden wir dann auch genau das: Ein großer Bulldozer und seine Kumpels stehen verlassen am Wegesrand und warten wohl schon länger auf Bob den Baumeister, damit es endlich weiter geht. Die gewaltigen Baumaschinen scheinen auch gar nicht alt zu sein, aber gebraucht werden sie wohl nicht mehr – schon seltsam. All das schwere verlassene Gerät scheint aus China zu stammen, wie das „China Aid“-Branding verrät.

Baggi, Buddel, Heppo und Schleppo warten auf Bob den Baumeister …
… damit es wieder heißt: "Can we fix it? Yes, we can!"

Auch sonst wirkt das kleine, wunderschön gelegene Dorf fast verlassen zu sein. Ein Kind spielt auf der Straße, verschwindet aber schnell, als es uns sieht. Später kommt uns noch ein älteres Pärchen entgegen, die nett grüßen aber anscheinend kein bisschen Englisch können, was schade ist, da man sonst ein kleines Schwätzchen hätte halten können. Es ist schon seltsam: Vor jedem Haus – auch vor den vielen verlassenen – steht ein überdimensioniertes Gestell mit einem Solarpanel oben drauf. Das Ganze hat etwas Dystopisches; es wirkt, als wäre die Zukunft hier schon Vergangenheit. Grammatikalisch betrachtet, sozusagen ein Leben im Futur II. Am Ende des Dorfes wird es noch seltsamer. Was wir von anderen Seglern schon gehört hatten, bestätigt sich: In einer offenen Halle stehen original verpackt, hunderte von Lithium-Batterien, vor der Halle lagern ebensoviele Solarpaneele, etliche der seltsamen Gestelle, die vor den Häusern stehen und riesige Kabelrollen mit unendlichen Metern dickem Kupferkabel. Alles ist völlig verstaubt und scheint irgendwie übrig zu sein. Wenn man wollte, könnte man wohl einfach das ein oder andere mitnehmen und es würde niemanden interessieren.

Die Solarrevolution auf Tonga: Abgestelllt und vergessen
Von weit weg da kam ich her

Im Skipper-Hirn flammt kurzzeitig ein Plan auf: Lithiumbatterien und Solarpaneele „for free“ – einpacken und mitnehmen!! Auch eine Fahrt mit der großen Planierraupe wäre eine echte Show. Ob das Ding noch anspringt?? Aber all das lassen wir natürlich sein – wir sind hier ja nur zu Gast.

Später erfahren wir, dass Bob der Baumeister aus China kam und wie an so vielen Stellen im Pazifik richtig groß helfen wollte ("Wir schaffen das!"). Als Corona kam, sind Bob und seine Kumpels jedoch ganz plötzlich verschwunden und wurden nie wieder gesehen. Ihr ganzes schönes Spielzeug haben sie einfach auf der Insel liegen gelassen. Also nix mehr mit "Shared Future". Woanders auf der Welt wäre all das unbenutzte Zeug schon lange verdunstet, hier scheint es einfach niemanden zu interessieren …

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