Holly Golightly

#120
Pazifik/Fiji - Vanuatu

Nachtflug mit Bruchlandung

  • Reisegeschichten

Vor gut acht Monaten sind wir in die Vuda-Marine auf Fiji eingelaufen. Heute zieht es uns wieder hinaus aufs weite Meer Richtung Westen – immer ein tolles und gleichzeitig auch wehmütiges Gefühl, da wir uns auf Fiji sehr wohl und willkommen gefühlt haben. Die Verabschiedung auf Fiji ist einmalig – Holly Golightly bekommt einen tollen Blumenschmuck und für uns wird gesungen – so müssen wir wirklich ein paar Tränchen wegdrücken.

There's a feeling I get when I look to the West

And my spirit is crying for leaving
Ooh, it makes me wonder

Ooh, makes me wonder
— Led Zeppelin / Stairway to Heaven

Unser nächstes Ziel, der Inselstaat Vanuatu mit seinen 83 Inseln, liegt ca. 500 sm westlich von uns und wir planen, in ca. vier Tagen vor der Insel Tanna anzukommen. Das Wetter soll am Anfang etwas mehr Wind und Welle bieten, danach von Tag zu Tag ruhigere Bedingungen. Zusammen mit einigen anderen Yachten verlassen wir das tief blaue Archipel durch die Riffpassage unseres Vertrauens und sind nun wieder auf hoher See. Die Wellen werden höher und höher, der Wind stärker und es geht flott voran.

So sieht die Riffpassage auf der elektronischen Seekarte aus …
… und so in Echt – wenn man durch ist.

Über Nacht segeln heißt wie immer: „Wache gehen“ – einer von uns muss also die Äuglein offen halten, während der andere in der Koje versucht, diese für eine Weile zu schließen. Nach verschiedenen Wachplänen haben wir uns darauf geeinigt, dass der Skipper von 19–23 Uhr Wache schiebt, dann ist Mareike von 23–02 Uhr für den Ausguck verantwortlich. Franz steht dann um 2 Uhr auf und wird von Mareike wieder um 5 Uhr abgelöst. Dieses „Schmehlausche System“ (Schmitt/Mehlau) trägt dem Umstand Rechnung, dass Mareike gerne früh zu Bett geht, während Franz noch um die Kajüte zieht. Morgens kann dieser dann wieder ausschlafen, während die Frühaufsteherin Mareike den Sunrise mit einem frischen Kaffee im Cockpit genießt.

When the night comes

Hat der oder die Freigänger:in Glück, ist der Schlaf tief und fest – hat man Pech, wird man x-mal geweckt und ist anschließend nicht ganz so fit wie gewünscht. So passiert es dem Skipper in seiner ersten Nacht, dass er zwischen 23 und 02 Uhr zweimal aus der warmen Koje muss. Grund 1: Ein wirklich großer, fliegender Fisch hat den Weg ins Cockpit gefunden und verbreitet dort Schrecken und Schuppen. Nachdem der fliegende Übeltäter wieder im Meer gelandet ist, sucht der Skipper erneut den Tiefschlaf, aber wieder mit wenig Erfolg: Eine Stunde später ist seine Person wieder gefragt: Ein anderes Schiff auf Kollisionskurs!!!

Manch Welle begehrt Einlass oder haut den Skipper aus den Socken

Als Franz um zwei Uhr nachts „not really refreshed“ aus seiner Frontkoje schwankt, sind die Wellen hoch und Holly Golightly rollt beachtlich von Backbord nach Steuerbord und hin und her, mal stärker und mal schwächer.
 Dieser unkontrollierte Eiertanz wird dem noch nicht wachen Skipper zum Verhängnis: Durch eine der größeren Wellen verliert er den Bodenkontakt und startet zu einem nicht angemeldeten Kurzstreckenflug durch den Salon. Er gewinnt jedoch nicht an nennenswerter Flughöhe, sondern kollidiert noch in der Startphase äußerst schmerzhaft mit dem sehr solide verankerten, eingeklappten Salontisch. Der kurze, aber dramatische Flug geht auf die Steuerbordseite des Salons, dann nach einer kurzen Zwischenlandung wieder zurück, wobei der Tisch nun in Rückenlage überflogen wird. Der Flug endet schließlich mit einer fiesen und krachenden Bruchlandung auf dem Salonboden. Fahrwerk und Flügel scheinen stark beschädigt und die Prozessgeräusche lassen auf ernsthafte Schäden schließen.


Mareike, die das Ganze nicht gesehen, aber gehört hat, eilt geschockt herbei und ahnt das Schlimmste. Wie schlimm es wirklich ist, können wir so schnell nicht feststellen. Während Holly per Autopilot weiter durch die Nacht schwankt, wird der Skipper erst einmal unter starken Schmerzen auf die Salonbank gebracht. Ein erster Check der einzelnen Bauteile lässt hoffen. Alles bewegt sich noch, und nirgends scheint etwas gebrochen zu sein. Ein gigantischer Bluterguss an der Hüfte zeigt, dass der Salontisch ein harter und gemeiner Gegner war. Schultern und Rücken schmerzen ebenfalls ziemlich stark. Nach ca. einer halben Stunde hat es Franz dann wieder bis in die Frontkoje geschafft, ist aber nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Die geschockte Mareike muss nun weiter Wache schieben – an Ausruhen ist erst mal nicht zu denken.
 So ist das eben, wenn die Mannschaft nur aus zwei Seeleuten besteht – fällt einer aus, hat der oder die Übrig Gebliebene die ganze Last alleine zu tragen. Kommen noch herausfordernde Wetterbedingungen hinzu, wird Segeln schnell zu einer ernsten Herausforderung.

Kurzwelle + Langwelle + Mittelwelle = Wellensalat

Stunden später ist Franz, der Bruchpilot, sponsored by Ibuprofen 800, immerhin wieder in der Lage, im Cockpit Wache zu schieben, sodass Mareike sich von der dramatischen Nacht etwas erholen kann. Der Bluterguss des Grauens ist so bunt, dass der Begriff „Blauwassersegeln“ eine ganz neue Bedeutung für uns bekommt. Da wir ja Neptun sei Dank einige versierte Mediziner in der Familie haben, nutzen wir unser Starlink, um diese um Rat zu fragen. Die Ferndiagnose fällt einhellig aus: Möglichst schnell zum Arzt, um checken zu lassen, ob im Schmittchen Gebälk noch alles heil ist.
 Schweren Herzens ändern wir unsere Route und halten nun Kurs auf die Hauptinsel von Vanuatu, Efate. Unser eigentliches Ziel, die Insel Tanna mit dem aktiven Vulkan, den wir besichtigen wollten, fällt somit ins Pazifische Wasser – wie schade!!!

Der Rest der Überfahrt verläuft den widrigen Umständen entsprechend: Mareike muss, zusätzlich zu ihren Wachen, noch den ein oder anderen Job übernehmen, den sonst der Skipper erledigt hat. Beispielsweise den Spinnakerbaum setzen. Dieses lange, unhandliche Ding kommt vorne an den Mast und hilft uns, die große Genua bei Downwind-Kursen (Wind von hinten) stabil zu halten. Das Montieren ist echte Arbeit, die nun Mareike übernehmen muss. Der Skipper in Teilzeit steht derweil im Cockpit und gibt Tipps zum Gelingen.

Drei Tage später erreichen wir Port Vila auf Efate. Wir haben das Glück, im Hellen anzukommen, und finden recht einfach einen Ankerplatz. Erschöpft fallen wir in die Kojen und schlafen erst mal richtig tief, fest und entspannt die ganze Nacht durch.


Endlich geschafft – Holly Golightly an der Mooring vor Port Vila

Auch am kommenden Tag haben wir Glück. Vor dem örtlichen Yachtclub bekommen wir noch eine Mooringboje, obwohl diese fast alle von der sogenannten ARC World (eine Art betreute Gruppensegelreise), die uns wieder im Nacken sitzt, gebucht sind.


Danach macht Franz sich auf zum Arzt und erntet dort erschrockene Blicke aufgrund der Größe seines Blutergusses. Der Arzt empfiehlt dringend, zu röntgen, was umgehend von der schönsten Röntgenfachkraft des Pazifiks in Angriff genommen wird. Beim späteren Analysieren der Röntgenbilder erklärt der Arzt, dass Franz wohl noch recht junge Knochen hat, denn sehr häufig hätte solch eine Verletzung einen Oberschenkel- oder Oberschenkelhalsbruch zur Folge! Es ist jedoch alles heil und auch nichts abgesplittert. Stolz wie Bolle auf seine jungen Knochen und sichtlich erleichtert verlässt der Skipper die Arztpraxis – et hätt mal wieder jot jejangen!!!

Überaus sympathische "Kundenansprache" in Vanuatu

Und wie immer nach Ankunft in einem neuen Land: Einklarieren! Auch in Vanuatu warten die schon aus anderen Ländern bekannten Institutionen auf uns: Immigration, Customs und Biosecurity. Da in Vanuatu die Räumlichkeiten der drei Behörden vom letzten Erdbeben rücksichtslos beseitigt wurden, hat man die „Heimatlosen” einfach und praktisch in die Nähe des Yacht-Clubs verlegt. Einfach und praktisch bedeutet, dass Customs beispielsweise in einer leerstehenden Wohnung, die man garantiert nicht ohne Hilfe findet, Unterschlupf gefunden hat. Nach einem konspirativen Tipp von Rosalyn, der freundlichen Dame vom Yachtclub, finden wir das „Büro“ am Ende eines dunklen Flurs im Nachbarhaus des Yacht-Clubs.

In einem ehemaligen Wohnzimmer empfangen uns zwei gut gelaunte Beamte und bitten uns erst mal zu warten. An ein Whiteboard haben sie den Sinnspruch oder auch das Motto des Tages geschrieben, was wir äußerst sympathisch finden. Nachdem wir, wie üblich, viele Dokumente ausgefüllt und noch öfter unterschrieben haben, ist die „Immigration“ erledigt.

Nun also ab zur Immigration! Der zuständige Beamte wartet schon sehr entspannt an einem Tischchen im Freien auf uns. Hier erledigt er alles Nötige mit Hilfe seines „Pop up Büros“. Nach nur 15 Minuten ist auch dieser Schritt erledigt.

Der letzte Part des Einklarierens, die Biosecurity, fällt diesmal ins Wasser, da die Beamten Angst haben, in genau dieses zu fallen. Wie, das??? Die Offiziellen befinden unser Beiboot als zu klein, um sie sicher zu Holly Golightly bringen zu können, und erklären die Sache damit als offiziell erledigt! Wie unkompliziert Bürokratie doch sein kann!

Somit sind wir nun auch offiziel in Vanuatu angekommen.

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