Holly Golightly

#107
Neiafu, Tonga

Zu satt, zu stürmisch, zur Info, zu wellig, zu Fuß und zu schwer!

  • Reisegeschichten

Nach unserem sagenhaften Ausflug zu der Kinderstube der Buckelwale sind wir auf eigentümliche Weise satt. Wir haben auf unserer Reise bereits so viel gesehen und erlebt – in zig atemberaubenden Buchten geankert, durften in beeindruckende Kulturen eintauchten, haben irre viele Menschen kennengelernt, Herausforderungen gemeistert, Haien tief in die Augen geschaut, Mantas beim "Fliegen" unter Wasser bewundert, sind geduldig mit mal zu viel und mal zu wenig Wind gesegelt, haben defekte Technik wiederbelebt … In der ruhigen Ankerbucht von Neiafu tritt etwas ein, womit wir nicht gerechnet haben: Wir sind nach acht Monaten 24/7 auf Holly Golightly irgendwie müde, ein bisschen erschöpft und ja, satt an Eindrücken. Es fühlt sich an wie ein voller Arbeitsspeicher, mehr geht nicht. Wir wissen, dass „um die Ecke“ weitere zauberhafte Ankerbuchten auf uns warten, aber wir sind platt. Glücklich mal wieder für eine längere Zeit an einem schönen Ort verweilen zu können, beschließen wir einfach genau da zu bleiben, wo wir sind.

Mal wieder zu schön: Blau, blau, blau sind alle seine Kleider …
Fast jede Woche wieder: Eine Tiefdruckfront zwischen Tonga, Fidschi und Neuseeland

1200 Seemeilen und ein Tiefdruckgebiet

Es ist Mitte September und uns beschäftigt der bevorstehende Törn nach Neuseeland. Wer von Tonga nach NZ segeln möchte, hat das Problem, dass man unterwegs in der Regel von mindestens einem Tiefdruckgebiet belästigt wird. Dies bedeutet erst Rückenwind, aber auf der Rückseite der Front leider Gegenwind. Da das Tiefdruckgebiet als solches vom Wettergott garantiert wird, geht es für uns Seglernen eigentlich nur darum, ein möglichst schwaches Exemplar zu erwischen. Es heisst also abwarten. Um das ideale Tiefdruckgebiet zu identifizieren, greifen viele Crews gerne auf die Erfahrung eines regional ansässigen Wetter-Routers zurück – so auch wir. John Martin ist Neuseeländer und ist schon unzählige Male zwischen seiner Heimat, Fidschi und Tonga hin und her gesegelt. Zweimal pro Woche werden wir von ihm mit Erläuterungen der aktuellen Wetterlage versorgt und fühlen uns so gut beraten und unterstützt. Noch haben wir Zeit.

Passender Weise beginnt gerade das „Vava´u Sailing Festival“. Es bietet ein buntes Programm rund um Neiafu und bergeweise Infos zur nicht gerade unkomplizierten Einreise nach Neuseeland. Die Marinas der Neuseeländischen Nordinsel werben um die Wette, um die Gunst der Yachten zu gewinnen und parallel wird für einen guten Zweck gesammelt.

Wir lernen lauter „neue“ Crews kennen, die ebenfalls nach Neuseeland wollen. So mischt sich – gesteigert durch die Gruppendynamik – die vorhandene Aufregung vor dem spannenden Törn auch mit großer Vorfreude. Die Info-Veranstaltungen der Mitarbeiternen von Customs und Immigration sind humorig und nehmen die Sorge vor den gestrengen Behörden Neuseelands. Um die bunte internationale Schar der Seglerinnen und Segler vor Ort zur endgültig Teilnahme zu motivieren, wird on Top jeden Tag ein leckeres Essen angeboten und all das zu einer Schnapper-Teilnahme-Gebühr. Wir sind happy mit alldem und haben mit dem Festival einen weiteren guten Grund gefunden, länger in Neiafu zu bleiben.

Eins der vielen Treffen im Rahmen des Vava'u Saliling Festival
Junge Tonganer:innen zeigen uns ihre traditionellen Tänze
Speisen werden gerne …
… im Erdofen zubereitet
Lange Blätter werden in Streifen geschnitten und getrocknet …
… daraus entstehen dann erstaunlich große und schöne Matten

Relativ spontan entscheiden unsere Freunde Tim und Verena von der Moana, ein vielversprechend aussehendes Wetterfenster zu nutzen und relativ früh nach Neuseeland aufzubrechen. Wir bedauern das ein wenig, hatten wir doch gehofft, vielleicht gemeinsam diese anspruchsvolle Passage in Angriff zu nehmen. Aber nach einer knappen Woche Tonga sind wir einfach noch nicht bereit für diesen Törn. Auch Kerstin und Jürgen von der Lady Jane, die kurz vor uns in Neiafu angekommen waren, machen sich schon wieder auf den Weg – sie wollen weiter nach Fidschi. Ein wenig traurig, aber auch zufrieden mit unserer Entscheidung noch abzuwarten, bleiben wir zurück.

Zum Abschied noch mal ganz nah – Verena und Tim starten Richtung Neuseeland

Beim Festival lernen wir Vai kennen. Sie ist eine von zwei professionellen Skipperinnen auf Tonga! Gemeinsam segeln sie mit Frauen-Crews auf einem traditionellen, polynesischen Katamaran. Um den Segelsport vor Ort weiter voran zu bringen, bitten sie die am Festival teilnehmenden Crews um nicht mehr benötigte Ausrüstungsgegenstände.

Auf Holly Golightly finden wir zwar nichts, was den lokalen Segelsport voranbringen kann, wohl aber einen Beitrag zur Digitalisierung der Südseeinsel. Unglaublich aber wahr: seit unserer Abreise aus Deutschland haben wir einen schicken iMac mit an Bord. War Franz zu Beginn der Reise noch im Boat-Office aktiv, wurde dieses auf Höhe der Kapverden geschlossen und der iMac mutierte zum überflüssigen und platzraubenden Crew-Mitglied. Wir haben den Eindruck, dass Tonga ein guter Ort ist, an dem unser digitaler Mitreisender von Bord gehen kann.

Vai startet gerade mit viel Engagement ein maritimes Buisness. Sie bietet den Yachten aus aller Welt, die in Neiafu ankommen, diverse Serviceleistungen. Um dieses Start-Up zu unterstützen, beschließen wir, den iMac bei Vai einziehen zu lassen. So bekommt also der in den USA erdachte, in China gebaute, in Deutschland gekaufte und dann um die halbe Welt gereiste iMac mit Tonga ein neues überraschendes Zuhause! Vai freut sich riesig, da solch ein Rechner in Tonga wohl fast unbezahlbar ist und wir freuen uns über den zurückgewonnenen Space an Bord – also eine wahre Win-Win-Situation und ein kleiner Beitrag zur Deutsch-Tongaischen Fraundschaft :-)

Die Kava-Zeromonie ist ein wichtiges gesellschaftliches und spirituelles Ritual, das tief in der Polynesischen Kultur verankert ist. Kava gilt außerdem als „Getränk des Friedens“ und wird gerne bei Hochzeiten und der Begrüßung von Gästen getrunken – also ungefähr so, wie das Kölsch in Kölle! Besonders in Fidschi, Samoa und Tonga soll die Kava-Zeremonie ein Symbol für Zusammengehörigkeit und Respekt sein. Außerdem hat Kava eine leicht berauschende Wirkung und entspannt und beruhigt. Da wir Segler überwiegend friedlich und auch zu Gast sind haben wir die Ehre an solch einer Zeremonie teilnehmen zu dürfen.

Franz ergreift die Gelegenheit zu probieren und bekommt die Schale mit dem Kava von einer der Inselschönheiten feierlich überreicht - wirklich toll, diese Art zu feiern!

Höhepunkt des Sailingfestivals ist, wie kann es anders sein: Eine Regatta! An diesem Race nehmen teil: Drei Dickschiffe zwischen 12 und 14 Metern und drei Dinghis – darunter natürlich Fred! Während die Dickschiffe die amtliche Regattabahn zweimal absegeln müssen, brauchen die Dinghis nur eine Runde zu absolvieren. Dies sind ungefähr 3 sm, was für die kleinen Beiboote schon eine ganz amtliche Entfernung ist.

Vor der Startlinie kreuzen Dickschiffe und Dinghis aufgeregt durcheinander, bis der Startschuss ertönt. Fred ist zur Stelle und stürmt hoch am Wind und ebenso hoch motiviert Richtung Süden zur ersten Wendetonne. Auf den ersten 500 Metern läuft’s richtig rund, bis Franz der Küste zu nahe kommt und in ein Windloch gerät – na toll! Die anderen ziehen vorbei und Fred ärgert sich über seinen Steuermann. Mit Hängen und Würgen findet der einen Weg in den Wind und schließlich wird auch die erste Wende geschafft. Nun geht’s downwind Richtung Norden und die Wellen, die sich in der Bucht bilden, schieben gewaltig. Wild schwankend, fast ein wenig surfend, zieht das Team „Fred & Franz“ seine Bahn und lässt sich immerhin nicht weiter abhängen. Die beiden anderen Dinghis – eines deutlich größer, das andere ein Kat – kämpfen sich derweil um die zweite Tonne, was schon recht anspruchsvoll ausschaut, da die Bucht im Norden zusammenläuft und dort ordentlich Welle entsteht. Fred & Franz trauen dem Ganzen nicht über den Weg und haben auch schon etwas Schiss in der Regattabuxe! Nach dem Motto: Lieber „disqualifiziert als abgesoffen“, wird kurzentschlossen schon vor der Tonne gehalst und hoch am Wind wieder zurück zur Ziellinie gekreuzt, was auf der welligen Piste ebenfalls nicht ganz einfach ist. Ein paar Wellen machen Fred richtig nass und verbreiten im inneren ein gewisses Badewannen-Feeling. Aber die kleine „Holzklasse“ schafft erstaunlich viel Höhe und kommt der Ziellinie näher und näher. So macht der Rückweg richtig Spaß!

Im Regattamodus
Hi!!
Der "Dicke" hat Wegerecht – auch das noch!

Nebenbei heißt es jetzt auch, den Weg durch die Dickschiffe zu finden, die nun ebenfalls auf dem Weg zum Ziel sind, aber fairerweise auch ein wenig Abstand zu dem winzigen Regattakollegen halten. Und Ende gut, alles gut – Fred schafft die Ziellinie und wird stolzer Dritter – von drei gestarteten Dingis :-) Immerhin war er aber auch das kleinste Dingi im Feld.

Zieleinlauf!

Während der weibliche Teil der „Holly Golightly“-Besatzung immer einen gewissen Bewegungsdrang verspürt, ist der männliche Teil der Besatzung in Sachen Landgang etwas defensiver. Es kann doch kein Zufall sein, dass der Skipperfuß genau die Größe eines Gaspedals hat – so die evolutionäre Sicht des Skippers! Warum also sinnlos weite Strecken zu Fuß gehen????

Das Timing der umstrittenen Zufuß-Aktivität ist ein weiterer Stolperstein. Wenn Mareikes erste Aktivitätsphase einsetzt, träumt der Skipper meist noch von einsamen Inseln mit Frittenbuden und Kölsch-Büdchen drauf. Aber natürlich hat Mareike Recht – der ideale Zeitpunkt zum Landgang ist nun mal der frühe Morgen mit seinen noch angenehmen Temperaturen. Auf Tonga bietet sich nun eine unerwartete Lösung für dieses Dilemma. Zwei andere Lerchen – nämlich Liv und Lars, unsere Segelfreunde aus Norwegen, solidarisieren sich mit Mareike und ihrem Wunsch nach Bewegung. So geschieht es nun fast jeden Morgen, dass die beiden mit ihrem Dingi bei uns anlegen und Mareike zum gemeinsamen Morgenspaziergang abholen und Eule Franz zurückbleiben darf. Es geht dann immer auf der gleichen Wanderroute auf den nahegelegenen Mount Talau, mit 131 m der höchste Berg in Vava'u, der ca. 2,5 km entfernt am Ende der Bucht geduldig auf Besuch wartet. Auf dem Rückweg wird regelmäßig bei Coffee & Tees haltgemacht und ein erfrischender Smoothie getrunken, der hier wirklich einsame Klasse ist. So kommt Mareike morgens gut gelaunt wieder an Bord von „Holly“ – genau richtig zum gemeinsamen Frühstück mit Franz, der inzwischen seine QTA genossen hat. Was QTA ist? Nun, wenn man, wie bei uns im Alltag, 24/7 auf engstem Raum eine Art zweizelligen Organismus bildet, dann ist man durchaus auch mal froh, Zeit als Einzeller zu verbringen. Diese „Quality-time alone“, kurz QTA, ist mittlerweile ein geflügelter Begriff unter den Langfahrer:innen und ein nicht unwichtiger Teil des Zusammenlebens.

Auf dem Gipfel der täglichen Wanderlust – Mareike und Liv
Der Ausblick entloht die Mühe - Blick vom Mt. Talau über die Bucht von Naiafu

Was für den Automobilisten nur ein kleiner Halt am Streckenrand ist – nämlich das Auftanken des fahrbaren Untersatzes – ist für die Eigner und Eignerinnen eines segelbaren Untersatzes meist ein aufwendiges Unterfangen. Im ganzen Pazifik haben wir nur einmal, auf Tahiti, eine Yacht-Tankstelle zu Gesicht bekommen. Ansonsten heißt es immer: Kanister (je 20 Liter!) ins Beiboot, aus dem Beiboot zur Tanke tragen, auftanken, zurück zum Dingi schleppen, rein ins Dingi, aufs Schiff hieven und verstauen – alles in allem ein zeitintensives und in tropischen Bedingungen auch anstrengendes Unterfangen.

Auf Tonga bilden daher wir eine Tank- und Transport-Gemeinschaft mit Fiona und Ian von der Ruffian – geteiltes Leid ist halbes Leid! In Fred und das Dingi der Ruffian passen ungefähr sieben bis acht der großen 20-Liter-Kanister. An dem alten Betonpier einer verlassenen Ferienanlage legen wir an und tragen die Kanister bergauf zur ca. 1 km entfernten Tankstelle. Praktischerweise hat Ian zwei kleine Hackenporsche dabei, die uns helfen sollen. Nach dem Tankvorgang verschnüren wir die Kanister kunstvoll auf den filigranen, sichtlich geforderten Sackkarren (Säckchenkarre wäre zutreffender!) und machen uns auf den Rückweg. Aber et kütt, wie et kütt: Nach wenigen Metern bekommt der erste Hackenporsche Probleme mit der Steuerung – Franz hat plötzlich nur noch den Griff in der Hand – und die großen Kanister purzeln lustig durcheinander auf die Straße. Porsche Nummer zwei ist bedauerlicher Weise auch kurz vorm Zusammenbruch. Unser Elend muss offensichtlich sein, denn direkt neben der bemitleidenswerten Gruppe stoppt eine junge Frau mit ihrem Pick-Up und bietet uns ihre Hilfe an! Kurzerhand wird das ganze Brimborium, inklusive Protagonisten, auf der Ladefläche verstaut und zum Zielort transportiert. Nun müssen die Kanister nur noch in die Beiboote und wieder an Bord der Yachten gehievt werden. Auch das ist eine halbe Stunde später erledigt!

Es ist schon verblüffend: Sobald man ein wenig hilfsbedürftig erscheint, wird einem sofort Hilfe angeboten. Das gleiche passiert Franz einige Tage später auf dem Rückweg von einer anderen Tanke. Obwohl er nur einen großen Kanister schleppt, bietet eine junge Frau in einem Kleinwagen ihm Hilfe an. Der dicke Kanister kommt ruckzuck hinter die Rücksitzbank – der große, dort untergebrachte Hund wird ein wenig komprimiert – und ihr ca. zehnjähriger Sohn, der auf dem Beifahrersitz saß, wechselt zu seinen drei Geschwistern auf die Rückbank. Ihr jüngstes Kind sitzt vorne auf ihrem Schoß und schaut den plötzlich zugestiegenen fremden Mann mit großen Augen an. So fahren also fünf Kinder, ein Hund, ein Kanister, Mami und ein Fremder gut gelaunt Richtung Hafen.

Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen im Pazifik ist immer wieder sehr beeindruckend!

Leider kein nachwachsender Rohstoff – unsere 120 Liter Diesel-Reserve

Sunrise & Sunset – Was man in der Südsee eher selten findet, sind Friedhöfe. Nicht dass die Menschen hier ewig leben würden – die Lebenserwartung ist leider deutlich geringer als in Deutschland. Einerseits liegt das an dem hohen Anteil übergewichtiger Menschen, andererseits am wesentlich schlechteren Gesundheitssystem. Die Verstorbenen werden ebenso wie bei uns beerdigt – also im wahrsten Sinne des Wortes in der Erde bestattet. Die Gräber findet man aber an unterschiedlichsten Stellen: In den Vorgärten der Familien, am Wegesrand mit Meerblick oder auf Wiesen neben den kleinen Dörfern. Schaut man sich die Gräber genauer an, fallen zwei Dinge besonders auf: Erstens sind die Gräber sehr bunt geschmückt. Das zweite, was überrascht, ist die Inschrift auf den Grabsteinen: Das Geburtsdatum wird mit „Sunrise“ und das Sterbedatum mit „Sunset“ beschrieben – was für eine schöne Umschreibung für den Anfang und das Ende eines Lebens!! Da die Sonne immer wieder aufgeht, ist die Wiedergeburt somit auch nicht ganz ausgeschlossen – es besteht also noch Hoffnung!

Beste Lage mit Meerblick
Bunt muss es sein
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