Cascais - Madeira • 100% Blauwassersegeln

Während wir in Cascais bei Lissabon im noblen Jachthafen zwischen Superjachten und Anglerbooten lagen und die sonnigen Tage mit unserer Freundin Imke genossen, war eigentlich klar, dass wir unsere Reise entlang der schönen portugiesischen Küste fortsetzen würden. Die Algarve mit ihren beeindruckenden Lagunen und tollen Ankerplätzen lockte uns sehr. Leider gab es da aber immer noch diese bereits öfter erwähnten schwarz-weißen Meeresbewohner mit O, die den Segelbooten aktuell auch im Süden von Cascais auf die Pelle rückten.
Warum betreiben die Orcas diesen destruktiven Ansatz wohl so konsequent? Wir denken, das ist nicht weiter verwunderlich – schließlich haben wir Menschen auch vor langer Zeit damit angefangen ganze Walpopulationen auszurotten oder Nashörnern ihr Horn abzusägen oder Haien bei lebendigem Leib, die Flossen abzuschneiden (Aktuell wurden gerade fast alle Haiarten unter Schutz gestellt). Warum soll also der Orca nicht auch mal eine etwas ausgefallene Idee in die Tat umsetzten? Trotz unseres Verständnisses für die Belange des Meeressäuger waren wir uns nicht sicher, ob diese verstehen würden, dass wir auf ihrer Seite stehen. Auch die Tatsache, dass unser Ruderblatt nicht aus Plaste und Elaste, sondern etwas oldstyle aus Edelstahl gefertigt ist, beruhigt uns nur bedingt. Zwar würde ein dicker Walfisch sich evtl. daran die spitzen Zähne ausbeißen, aber was, wenn er es dabei nachhaltig "verblöttscht", wie der Kölner sagen würde? Wie auch immer, die Situation war angespannt – ereigneten sich doch an der Küste zwischen Lissabon und dem Süden Portugals aktuell die meisten Knabberattacken der Orcas (bis zu fünf am Tag!).
Solchermaßen verunsichert nutzten wir dann eine sich plötzlich bietende Gelegenheit. Wir verbündeten uns mit Conrad, Sarah und Santiago (8 Jahre) von der „Vega“, die nachmittags an unserem Steg angelegt hatten und ebenso ratlos in Sachen Orcas waren wie wir. Spontan beschlossen wir am kommenden Morgen zusammen in Richtung Madeira aufzubrechen – also weg von der kritischen Küste raus auf den Atlantik. Die äußerst sympathische Familie segelt ein schönes 30 Fuß großes, klassisches Boot und war ebenso froh wie wir, die ca. 550 sm lange Etappe bis Madeira nicht alleine zurücklegen zu müssen.
Am Morgen des 10. Oktober legten wir also ab und nahmen erst mal den direkten Kurs auf See. Die Idee war, möglichst schnell aus den Amüsierseemeilen der Orcas zu entschwinden. Die Wettervorhersage war nicht perfekt (zum Ende würde der Wind evtl. etwas kräftiger wehen) aber akzeptabel. Nach ein paar Stunden entspanntem Segeln kreuzte dann leider ein Gewitter unseren Weg. Die Abstände zwischen Blitz und Donner waren jedoch so groß, dass wir nicht befürchten mussten, als Blitzableiter missbraucht zu werden. Auch die sonst manchmal brutalen Böen blieben aus. Dafür schüttete es dermaßen, dass der Unterschied zwischen Über- und Unterwasser höchstens noch 1% ausmachen konnte. Wir waren gefühlt kurz vor der Kiemenatmung – währenddessen tangierten wir auch noch ein sogenanntes Verkehrstrennungsgebiet (eine Art Autobahn für die Großschifffahrt). Die großen Pötte tauchten im wahrsten Sinne des Wortes aus den Regenfronten auf und wieder ab, blieben aber immer auf sicherer Distanz. Glücklicherweise verzog sich der Regen bald wieder. Übrig blieb guter Wind, aber auch hohe und irgendwie diffuse Wellen, die die Weiterfahrt zu einem kräftezehrenden Eiertanz werden ließen. Apropos Eier: Mareikes liebevoll geplantes Rührei, tanzte solchermaßen motiviert komplett aus der Reihe und verschwand teilweise in ungeahnten Ritzen und Tiefen unser Pantry. Ein Teil fand sich auf Madeira schließlich in der Kühlbox wieder, der Rest blieb in Anteilen verschollen :-(
Schön anzusehen war aber das nun unglaublich blaue Wasser, welches sehr an das Königsblau der Tintenpatronen unserer Schulzeit erinnerte. Vermutlich werden diese hier irgendwo abgefüllt! Ob die Wassertiefe von über 4000 Metern wohl für dieses tiefe Blau verantwortlich ist?

Leider kam der Wind nun die meiste Zeit direkt von achtern. Da unser Boot kein alter Rahsegler ist, passt das nur bedingt. Solch ein „tiefer Kurs“ ist bei modernen Segelbooten nicht sonderlich beliebt. Wir haben zwar genau für diese Windrichtung ein sehr tolles Segel an Bord aber das ist ein anderes Thema ...
Dank der wirklich großen Wellen glich die Fahrt der „Vega“ jetzt zumindest optisch oft einem Rodeoritt. Obwohl „Holly“ nur einen Meter länger ist aber gut zwei Tonnen schwerer, hatten wir das Gefühl doch etwas ruhiger unterwegs zu sein. Aber vielleicht täuschte das auch nur. Außer einer dicken Schildkröte kreuzte nun nichts und niemand mehr unseren Kurs.
Nachdem wir Anfangs der kleineren „Vega“ immer mühelos davon gesegelt waren und dann ab und an hinter der nächsten großen Welle mal kurz gewartet haben, wurde es nun ein wenig schwieriger in Sichtkontakt zu bleiben. Aufgrund unserer gefeilten Salinge können wir das Großsegel bei Rückenwind nicht so weit öffnen wie die ältere „Vega“ mit geraden Salingen. So waren wir gezwungen vor dem Wind zu kreuzen, was den Weg zum Ziel etwas verlängerte und uns von unserem "Buddy-Boot" entfernte. Besonders schön auf dieser Überfahrt war, dass wir trotzdem mit der „Vega“ in Funkkontakt blieben und so für etwas Entertainment gesorgt war. Während Conrad uns netterweise zweimal täglich den Wetterbericht per Funk durchgab, konnte Mareike mit Santiago funken, der uns zu unsern Hobbies, Lieblingsliedern und zu Deutschland interviewte. Santi ist erst 8 Jahre, aber ein unglaublicher Pfiffikus und sehr eloquent für sein Alter.
Kreuzend, funkend, schlafend, Musik hörend, halsend, lesend und ab und an essend gingen die Stunden und Tage dahin.


Die vierte und letzte Nacht wurde leider die herausforderndste. Die Wettervorhersage versprach leicht abnehmenden Wind und kleinere Wellen, die mit bis zu 3 m bisher nicht wirklich komfortabel waren. Solchermaßen „beruhigt“ segelten wir mit vollem Groß, platt vor dem Laken (Wind fast genau von hinten) in die wieder stockdunkle Nacht. Diese wurde dann kurzzeitig durch etwas erleuchtet, dass weder auf dem AIS zu sehen war, noch Positionslichter trug. Es kam uns recht zügig entgegen und „dampfte“ mit deutlich zu vernehmendem Motorenlärm sehr hell erleuchtet an uns vorbei. Entweder ein Fischer (eigentlich müssen die AIS-Signale senden) oder ein verirrtes U-Boot, dass mal Luft holen musste?

Irgendwann um Mitternacht erwies sich dann die Wettervorhersage als glatte Fehlleistung der hochgetackteten Wettercomputer und der Wind legte gemein zu. Was dann geschah glich einem Pogotanz in der Dunkelkammer. Als erstes stieg unsere eigentlich sehr zuverlässige Windfahnensteuerung aus. Wir waren im Surf auf den nun noch größer werdenden Wellen einfach zu schnell. Eine dieser eigenwilligen Wellen schob dann unser Heck etwas zu sehr in die falsche Richtung. Das Ergebis war eine bei Seglern sehr unbeliebte Patenthalse. Klingt für den Laien irgendwie nach Segelkunst, ist aber ungefähr so elegant, wie sich im Parkhaus beim rückwärts Einparken die Fahrertür abzufahren! Gott sei Dank hatten wir vorgesorgt und einen „Bullenstander“ gesetzt (ein starkes Tau, dass die Fahrertür zuhält!).
Da unser Großsegel eh nicht so groß ist, kamen wir erst mal mit dem Schrecken und ohne Bruch davon. Nun mussten wir das Segel aber trotzdem reffen oder komplett bergen. Während also normale Menschen sich im warmen Bett gerade umdrehten, turnten wir zwei wild umeinander, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen. Wir drehten "Holly" gegen Wind und gegen die in der Dunkelheit aus dem Nichts anlaufenden Wellen und kämpfen mit dem nun wild schlagenden Großsegel. Das Manöver gelang jedoch bestens. Trotz völliger Dunkelheit, Gebrüll vom Skipper, Rauschen der Wellen und heulendem Wind konnte die mutige Mareike sich nach vorne zum Mast hangeln, das ganze Segel nach unten ziehen und zerren und anschließend noch sichern. Nach der ganzen Aktion hätten eigentlich große Scheinwerfer angehen und ein begeisterter Wolfgang Petersen brüllen müssen: „Und Schnitt, die Szene ist im Kasten – Bravo und Feierabend!!!“. Das passierte aber nicht und so mussten wir gleich die nächste Szene spielen. Wir entschieden uns für die Genua als Hauptdarsteller, rollten diese nur wenig aus, um dann etwas langsamer aber wesentlich entspannter vor dem starken Wind und großen Wellen in Richtung Ziel abzulaufen.

Den Rest der Nacht verbrachten wir gemeinsam im Cockpit – der Adrenalinpegel war einfach zu hoch und an Schlaf nicht mehr zu denken. Da wir die Madeira vorgelagerte Insel Porto Santo viel früher als geplant im Morgengrauen erreichten, beschlossen wir direkt bis Madeira durchzusegeln. Als etwas später im Morgendunst die beeindruckende Silhouette von Madeira vor uns auftauchte, war aber alle Aufregung vergessen und wir wussten, dass sich die lange Überfahrt gelohnt hatte.
Um 13:47 machten wir nach viereinhalb Tagen auf See endlich in der Marina „Quinta do Lorde“ fest und hatten den bisher anstrengendsten und aufregendsten Atlantiktörn hinter uns. Das Gute: Außer den üblichen blauen Flecken und etwas Rührei gab es keine „Verluste“ zu beklagen – und unser Ruderblatt ist immer noch völlig unversehrt! Das Schlechte: Beim Anlegen beschloss unser Getriebe einfach mal kurz den Rückwärtsgang zu ignorieren und damit das finale Aufstoppen am Steg zu verhindern. Das führte zu einer sehr uneleganten Kollision mit der schon etwas baufälligen Steganlage. Glück im Unglück; Unser Bug zeigte sich im wahrsten Sinne des Wortes völlig unbeeindruckt und der marode Steg wurde Tage später dann sowieso generalüberholt.

