Hiva Oa – ein Belgier sang, ein Franzose malte und ein Östereicher meckert
Unser nächstes Ziel muss die Insel Hiva-Oa sein. „Muss“, weil wir nur dort offiziell einklarieren können. Der kleine Hafen östlich der Ortschaft Atuona hat nicht den besten Ruf aber wir werden sehen. Die 45 sm sind ein schöner Tagestörn und so machen wir uns gut gelaunt auf den Weg. Zusammen mit uns startet die „Forty-Two“ von Kyle und Saskia, die ebenfalls nach Hiva-Oa müssen, um dort einzuklarieren.
Der Naturhafen mit kleiner Betonpier präsentiert sich wie beschrieben: Eng, voll und mit ordentlich Schwell. Trotzdem ergattern wir einen Platz im Getümmel, der wenigstens ein bisschen geschützt ist. Der Schwell, der je nach Windrichtung durch die Bucht läuft ist beeindruckend. Der ein oder andere Ankerlieger ergreift zwischendurch die Flucht und versucht sein Glück weiter draußen oder direkt vor dem großen Betonpier, was eigentlich verboten ist. Schläft der Wind ein, beginnt ein anderes Chaos – alle Boote fangen an sehr anachronistisch um ihre Anker zu treiben. Bei Wind erinnert die Bewegung der Yachten an ein synchrones und harmonisches Wasserbalett – bei Windstille eher an eine konfuse Wasserballmannschaft.
Die Crew einer riesigen Oyster kümmert das alles nichts – trotz der herausfordernden Situation verlassen sie komplett ihr Schiff. Der Skipper vom gerade mal halb so großen Nachbarboot hat dann ca. drei Stunden lang richtig Spaß: Er muss die große Oyster immer wieder von Hand oder mittels Bootshaken abhalten, damit sie nicht mit seiner Yacht auf Tuchfühlung geht.
Leider liegt neben uns eine Yacht aus Österreich, deren Skipper wohl ein ernstes Problem mit Nachbarschaft und vor allem mit Freundlichkeit hat. Am nächsten Tag ankern wir daher noch mal um und finden sogar einen viel besseren Platz, da eine andere Yacht zeitgleich die Bucht verlässt – nun liegen wir gut geschützt vor den realen und den negativen Wellen des missmutigen Alpenbewohners.
Leider hatten wir beim Umparken in der Bucht einen Moment der Verwunderung: Der Skipper dreht am Zündschlüssel und es passiert – nichts! Das ist nun eine echte Premiere und gefällt uns gar nicht. In bestimmten Situationen könnte das den Tag echt versauen!
Franz demontiert also Zündschloss und Drumherum. Zutage tritt ein vom Vorbesitzer „verfeinerter“ Kabelsalat, der eindeutig mit wenig Talent angemischt wurde. Vergleicht man die Komposition mit dem Original-Rezept (Schaltplan) von Volvo-Penta sieht man, dass mindestens zwei Zutaten vertauscht wurden, was bedeutet, dass die Steckerchen teilweise nicht dort stecken, wo sie hingehören. Ein weiteres Kabel hat sich im Laufe der Jahre teilweise seiner Ummantelung entledigt – auch nicht unbedingt hilfreich. Nachdem alle Zutaten wieder da sind, wo sie laut Rezept hingehören und ein paar Kabel wieder züchtig verhüllt sind, ist die Drehung des Zündschlüssels wieder ein „escht legger“ Erfolgserlebnis!
Etwas abweisend präsentiert sich auch das Dinghi-Dock. Aus Beton, ist es der natürliche Feind für „Fred“, unser hölzernes Beiboot. Vor der einzigen Leiter drängeln sich zudem die Beiboote wie Alkoholiker vor einem Freibierstand. Bei Ebbe entsteht zusätzlich ein Dinghi-mordender Hohlraum unter dem Betonpier.
Zum Einklarieren im Hauptort Atuona müssen wir auf die Polizeiwache. Der Fußmarsch dorthin dauert eine knappe Stunde entlang der zwei schönen Buchten. Dort angekommen läuft alles wie geschmiert – die Polizisten sind unglaublich freundlich und hilfsbereit! Nach über sechs Wochen betreten wir anschließend mal wieder ein „Lädchen“ und staunen über die Preise. Eine Dose Bier 3,50 € – da kommt Freude auf!
Aber selbst hier, auf der anderen, blauen Seite des Globus gibt es überall Jägermeister aus Wolfenbüttel und Gerolsteiner Wasser aus der Eifel – also Sprudelwasser das tatsächlich um die halbe Welt transportiert wurde … dabei ist das Wasser hier so sauber, dass man aus den Bächen trinken kann! Schon verrückt, oder? Wer uns hier auch begegnet, ist ein alter Bekannter aus der Heimat: Der Braunschweiger Löwe! Auf der Front eines recht neuen „MAN“-Lasters, der für die Kommune Hiva Oa unterwegs ist, erinnert er uns an zu Hause!
Zu einem Highlight der akustischen und geschmacklichen Art entwickelt sich ein Abend „um die Ecke“. Etwas oberhalb der Bucht gelegen lockt ein feines Hotel mit einem Buffet und dem Auftritt einer polynesischen Tanz- und Gesangstruppe. Etwas skeptisch nähern wir uns diesem Touristen-Event. Schon nach kurzer Zeit verfliegt der Zweifel, da die Einheimischen mit viel Einsatz und Begeisterung auftreten und sichtlich stolz ihre Gesangs- und Tanzkultur präsentieren. Das Essen ist übrigens auch sehr lecker und es stellt sich heraus, dass ein netter Insulaner, der uns ein paar Tage vorher einfach so in seinem Auto mitgenommen hat, der Hotelmanager ist.
Nach drei Tagen heißt es für uns „Tschö“ sagen oder besser „Adios Amigo“ – nicht von der Insel sondern von Genaro, unserem treuen Begleiter seit Panama. Schweren Herzens verabschieden wir uns von ihm und es fließt das ein oder andere heimliche Tränchen. Genaro reist weiter nach Nuku-Hiva, um dort gegen Kost und Logie an einem Bauprojekt teil zu nehmen. Von dort will er nach Tahiti und dann nach Paris – eben ein echter Weltenbummler! Wir werden ihn vermissen – andererseits freuen wir uns auch sehr auf die gute alte Zweisamkeit!
Hiva-Oa ist eine der größten Inseln der Marquesas und verdankt Paul Gouguin eine gewisse Bekanntheit. Der Franzose lebte hier zwei Jahre und malte und malte und malte. „Nebenbei“ schwängerte er eine 14-jährige Inselschönheit – er selbst war da schon über 40!
Ein Belgier, der erst sang und sang und sang und dann in die Südsee segelte(!) war Jacques Brel, der König des Chansons. Neben dem Gesang liebte er die Fliegerei und das Segeln. 1974 kaufte er daher in Belgien die schöne Ketch „Askoy II“, eine 1960 gebaute, 19 Meter lange und 42 Tonnen schwere Schönheit aus Stahl.
Mit dieser und seiner Geliebten „Maddly“ erreichte er im November 1975 Hiva-Oa. Hier wollte er leben – und sterben, da er damals schon an Lungenkrebs erkrankt war und seine Tage gezählt schienen. Die „Askoy II“ wurde verkauft und durch eine zweimotoriges Flugzeug ersetzt, das er „Jojo“ taufte. Als Kapitän der Lüfte half er dann den Einheimischen wo er konnte, flog Kranke nach Tahiti oder transportierte dringend benötigte Dinge kreuz und quer über die Inseln und machte sich auf diese Weise sehr beliebt. Jojo“ steht heute in einer eigens errichteten Gedenkhalle neben dem Gauguin-Museum – beides recht sehenswert!
Auf Hiva-Oa komponierte Brel sein 14. und letztes Album, das „Les Marquises“ heißt, 1977 erschien und den gleichnamigen Titel enthält. 1978 starb er in Paris, wohin er auf Grund seiner Erkrankung kurzfristig zurück kehren musste. Er wurde später auf Hiva-Oa beigesetzt.
Voici qu’une île est en partance
Et qui sommeillait en nos yeux
Depuis les portes de l’enfance
An island, an island we still need to build
A dream you’ve had since long ago
Back when you were a child
Der malende Franzose und der singende Belgier haben ihr letzte Ruhestätte auf einem kleinen Friedhof hoch oben über dem Hauptort der Insel gefunden – mit einer wunderschönen Aussicht auf das türkise Meer.
Die Reste seiner Ketch wurden übrigens vor ein paar Jahren aus einem Strand in Neuseeland ausgegraben und nach Belgien verschifft. Dort wurde „Askoy II“ wiederaufgebaut und soll demnächst tatsächlich wieder Richtung Hiva-Oa starten.
Was einem recht häufig auf Hiva Oa und den Marquesas begegnet sind sogenannte Tikis.
Diese beeindruckenden Skulpturen sind keine Götzenbilder. Sie werden in der polynesischen Kultur eher als „Behältnisse“ gesehen, in die – bei Bedarf – eine der zahlreichen Gottheit gerufen werden kann, um dann etwas bestimmtes zu bewirken. Sie haben sehr markante Züge, sind halb Skulpturen, halb Gott und sehen Menschen sehr ähnlich. Ihre Augen sind riesige Mandeln, die Fenster ins Jenseits darstellen. Tiki symbolisieren auch Macht, Wissen, Weisheit und Reichtum. Sie repräsentieren die Kraft der polynesischen Kunst und den Reichtum der Ma'ohi-Kultur.
Die Tikis gibt es in allen Größen und in Stein oder Holz. Zum Teil sind sie sehr alt oder auch nagelneu.
Die Formsprache erinnert teilweise sehr an Science-fiction. Bestimmt hat sich der ein oder andere Science-Fiction Autor oder Illustrator hier schon inspirieren lassen!
Um noch viel mehr von Hiva-Oa zu sehen, haben wir uns zusammen mit der „Forty-Two“-Crew einen kleinen Jeep gechartert und sind zu einem Törn auf Rädern aufgebrochen. Die Landschaft ist atemberaubend schön und es ist erstaunlich wie sich die Vegetation verändert, sobald man in etwas höhere Lagen kommt. Dichte Nadelwälder und tropische Bäume mit gewaltigen Kronen dominieren die schroffen Gebirge. In Meereshöhe dagegen entdecken wir am Wegesrand immer wieder verschiedenste Früchte (Mangos, Sternfrüchte, Papaya, Brotfrucht, …) die wir gerne aufsammeln. Der kleine Jeep ist zum Schluss unseres Ausflugs völlig überladen mit den Einkäufen und den Gratis-Früchten vom Wegesrand.
Leider kommt es tags darauf an Bord von Holly zu einem unfairen Kräftemessen. Einer von Mareikes (über)mütigen Zehen legt sich mit einer der Befestigungen der Wanten an und unterliegt sehr schmerzhaft in der ersten Runde durch technisches KO! Nach eingehender Untersuchung des Geschlagenen müssen wir leider feststellen, dass er gebrochen ist! Machen kann man da nicht viel. Der Zeh wird bandagiert und die tapfere Mareike versucht ihn möglichst ruhig zu stellen, was auf einem ständig schwankenden Boot nicht so einfach ist.
Man kennt das ja von zu Hause – immer interessant ist, wer so auf den Hof fährt oder ihn verlässt. So auch in „unserer“ Ankerbucht. Ganz erfreut und neugierig sind wir, als eine hübsche hellblaue Yacht mit Heimathafen Kiel in die Bucht einläuft. Das Schiff, nur wenig größer als Holly, hört auf den Namen „Moana“. Zur Begrüßung rudert Mareike über den Hof und überreicht der Crew eine große Pampelmuse. Die Crew besteht aus Verena und Tim, die tatsächlich direkt von ihrer Pazifiküberquerung hier eingetroffen sind! Sie sind 2023 gestartet und haben mit ihrer Hanseat 70 B richtig Gas gegeben. Wir ahnen noch nicht, dass die beiden uns eine lange Zeit begleiten werden!