Plattes Land mit Slacktime
Wer unter Höhenangst leidet, dürfte in den Tuamotus bestens aufgehoben sein. Flacher gehts kaum – maximal 6m ragen die teils riesigen Atolle aus dem Meer, die meisten sind so platt, dass sie teilweise überspült sind. 76 Stück sind es, die sich auf der unglaublichen Fläche von 2 Millionen Quadratkilometern erstrecken. Das entspricht der Fläche von Westeuropa. Die kleinen Landflächen auf den Atollen, auf denen ungefähr 17.000 Polynesier leben, ist zusammengerechnet dagegen grad mal so groß wie Berlin!
Aufgrund der unzähligen Riffe und der extrem starken Strömungen gehören die Tuamotus, was Seefahrt angeht, zu den gefährlichsten Ecken der Welt. Nicht umsonst hieß die Inselgruppe früher „Dangerous Islands“. Dank GPS, besserer Seekarten und exakteren Wettervorhersagen ist die Seefahrt hier sicherer geworden
Der Weg von den Marquesas hierhin, den wir zusammen mit der Moana segeln, gestaltet sich für uns ausgesprochen mühselig. Zwei Tage und Nächte fühlen wir uns aufgrund eines Amwind-Kurses wie in einem Cocktailshaker und sind kurz davor rechts abzubiegen. Dann hätten wir Wind und Welle mehr von hinten, was wesentlich komfortabler wäre – unser Wunschziel Raroia würden wir so jedoch nicht erreichen. Dazu kommen noch paar Squalls, die ordentlich Regen bringen und die Windanzeige immer wieder auf über 30 kn ansteigen lassen.
Als wir komplett schaumig gerührt und auch geschüttelt sind und der Blinker schon gesetzt ist, wird die Wegstrecke überraschend etwas weniger wellig und der Wind dreht merklich „nach hinten“. Wir biegen also doch nicht ab. Schließlich erreichten wir am Morgen des dritten Tages wie geplant Raroia, das größte Atoll der Tuamotus.
Vorstellen kann man sich so ein Atoll wie einen großen, flachen Suppenteller gefüllt mit einer an Zutaten reichen Bouillabaisse. Der Tellerrand, auch Saumriff genannt ist teilweise üppig bewachsen und auch bewohnt. Eher ungewöhnlich ist die Tatsache, dass der riesige Suppenteller von Wasser umgeben ist und am Rand ein Tülle hat, auch Riffpassage genannt. Nur durch diese leider sehr enge Tülle führt der Weg ins begehrte, weil geschützte Innere des Suppentellers. Dort findet sich ein Fischreichtum ohne gleichen und viele Zutaten in Form tausender sogenannter „Bommis“ – Korallenriffe in jeder Form und Größe.
Was die Einfahrt ins Innere spannend macht, sind die Gezeiten und der Wind – eigentlich sehr ähnlich den berüchtigten Seegatten zwischen den Nordseeinseln. Der beste Moment, um das Atoll zu entern, ist der Zeitpunkt zu dem das Wasser weder rein- noch rausläuft – die sogenannte Slacktime. Genau dann kann man die meist sehr enge Zufahrt am besten passieren. Wann dieser magische Moment nun exakt sein soll, entnehmen wir einer offline nutzbaren Exel-Tabelle, dem sogenannten „Guestimater“. Bei starkem Wind, der in den Pass weht, ändert sich jedoch alles und eine Passage ist auch zur Slacktime oft unmöglich. Außerhalb der Slacktime ist die Strömung in den Pässen teilweise so heftig (bis 10 kn!), dass sich stehende Wellen bilden und die Durchfahrt unmöglich und lebensgefährlich wird. Es gilt also unbedingt zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein!
Nach unserem „geschüttelt und gerührt Törn“ von den Marquesas kommen wir leider ein wenig zu spät am Pass von Raroia an. Die Moana, die ein wenig früher eingetroffen ist, sehen wir noch auf dem AIS reindampfen. Als wir die Einfahrt erreichen, trauen wir dem Ganzen nicht so recht über den Weg. Wir tuckern abwartend vor dem Pass hin und her und sehen, wie das Wasser einem breiten, reissenden Fluss gleich aus der Lagune strömt. Ein großer Katamaran, der nach uns ankommt, traut sich trotzdem und kommt ganz gut durch – uns fehlt jedoch immer noch der Mut. Kurz darauf erreicht uns ein Funkspruch der „Wild Iris“. Sie haben uns auf dem AIS beobachtet und teilen uns nun ganz nett mit, dass der Zeitpunkt für die Durchfahrt ok ist. Skipper Franz geht noch mal in sich, fragt den Schiffsdiesel ob er sich fit fühlt und Mareike, ob sie dann noch mit ihm spricht. Als alle Antworten positiv ausfallen, gibt Holly Golightly mächtig Gas und nimmt Anlauf, um durch die Tülle ins innere des großen Tellers zu schlüpfen. Getreu dem kölschen Motto „Et hät noch immer jod jejangen“ schieben wir uns mit Vollgas durch den beeindruckenden Gegenstrom. Dieser schiebt mächtig, um uns aufzuhalten und drückt uns mal ein wenig nach rechts und dann wieder nach links. Mit noch 2 bis 3 kn Fahrt kämpfen wir uns aber langsam und stetig vor. Da das gesamte Holly-Team alles gibt sind wir vier bis fünf Minuten später im Atoll und atmen auf – geschafft, unsere erste Riffpassage!!!
Der Ankerplatz im Tellerinneren liegt auf der Gegenseite, so dass wir einmal quer durch die an Riffen reichhaltige Bouillabaisse müssen. Da wir den Kurs der Moana auf die Ostseite mitgetrackt haben und Mareike vorne auf dem Bug mit Hilfe der „Eyeball-Navigation“ Ausschau hält, umschiffen wir die Zutaten der Bouillabaisse souverän. Die Korallenriffe, die sich zu hunderten im Atoll verteilen, sind viel größer als erwartet. Mache haben sogar Tennisplatzgröße – aber alle sind bestens zu sehen. Nach ca. sechs Seemeilen durchs Atoll erreichen wir den Ankerplatz und lassen neben der Moana unseren Anker in das klare blaue Wasser fallen.
Wer lange vor uns hier ankam, aber das Atoll auf eher unkonventionelle Art und Weise erreichte, war Thor Heyerdahl, der 1947 nicht weit von unserem Ankerplatz mit der Kon-Tiki spektakulär am Außenriff strandete. Dort erinnert ein kleines Denkmal, das wir natürlich besuchen, an die mutige Fahrt mit dem Balsaholz-Floss. Seine Theorie, die er mit dieser Fahrt beweisen wollte, dass Polynesien von Südamerika aus besiedelt wurde, stellte sich später allerdings als weitgehend falsch heraus.
Die Atolle der Tuamotus sind in Sachen Fischreichtum kaum zu übertreffen. Hier zu Schnorcheln gleicht einem Bad in einem riesigen Aquarium. Unglaublich viele, kunterbunte große und kleine Fische bevölkern die Lagunen. Jeder „Bommi“ gleicht einer kleinen Unterwasserstadt mit unterschiedlichsten Bewohnern. Auch die schönen Sandstrände sind voller bunter Krabben und die Mini-Wälder auf dem Saumriff sind wahre Vogelparadiese.
Neben uns liegen noch sieben bis acht andere Segelyachten an der Ostseite des riesigen Atolls. Es ist ein wenig wie in einem kleinen Dorf. Mittels Funkrunden werden Verabredungen zum Sundowner getroffen oder der Ausflug zum Thor-Heyerdahl-Denkmal koordiniert. Da wir noch keinen funktionierenden Außenborder haben, nimmt uns immer jemand mit – echt nett diese Gemeinschaft! Die Crew der „Sail la vie“, die uns in Fatu-Hiva schon großzügig mit Fisch beschenkt hat, funkt uns dann auch an, weil sie Rum benötigen. Wir spendieren eine kleine Flasche und bekommen als Gegenleistung vier frische Salatblätter, eine Tomate und einen Joint angeboten. Man glaubt es kaum aber die Tomate und die Salatblättchen feiern wir sehr! Frisches Gemüse ist hier echt Mangelware.
Tagelang liegen wir hier sehr gemütlich und entspannt, durch das Riff vor dem Ostwind geschützt. Wir schnorcheln viel, erkunden die „Motus“ (Inseln) auf dem Saumriff und baden im klaren Wasser.
Irgendwann dreht der Wind dann kurzzeitig auf Nordwest, was innerhalb des Suppentellers eine beeindruckende Dünung (Fetch) entstehen läßt – immerhin ist das Atoll 40 km lang! Plötzlich drehen wir uns um ca. 180 Grad und haben nun eine Sandbank hinter uns, was nicht unbedingt beruhigend wirkt. Aber unser Anker hält wieder sehr zuverlässig und alles bleibt gut! Leider sind wir aufgrund starken Windes aus Ost dann tatsächlich für fünf Tage gezwungen an Bord zu bleiben. Es ist wirklich wichtig in den Atollen bei viel Wind am richtigen Ende zu liegen – ansonsten wird es auch hier extrem ungemütlich, was wir auf unserer weiteren Reise noch öfter live erleben werden!